Garten, Gemüse

Saure-Gurken-Zeit

In meiner Jugendzeit waren das diese trostlosen Wochen im Sommer, während derer die Tageszeitung ein dünnes Blättchen war, in dem der überraschende Besuch der Zirkus-Seelöwen im örtlichen Schwimmbad zur Sensationsmeldung aufgeblasen wurde.

Später dann waren es die herausfordernden Wochen auf der Redaktion, während derer wir uns die absurdesten Sommerserien aus den Fingern saugten, um das Blatt irgendwie zu füllen. Und falls mal wirklich keine(r) mehr eine zündende Idee hatte, wurde ein bedauernswerter Praktikant in die Region entsandt, um ein paar ansprechende Fotos für eine Bilderseite zu schiessen.

Irgendwann verband ich mit dem Begriff eher mein alljährliches Ritual, auf dem Markt drei, vier Kilo Einmachgurken zu ergattern und zu Hause in Essig einzulegen, damit wir im Winter zum Raclette nicht mehr das scheussliche gezuckerte Fertigzeugs essen mussten. Warum man eine ganze Saison nach diesem Einmach-Prozedere benennen sollte, war mir jedoch ein Rätsel. So aufwendig ist es nun wirklich nicht, ein paar Gurken in gewürzten Essig einzulegen.

Ein paar Jahre später wuchsen dann die ersten Cornichons im eigenen Garten. Der Ertrag war so mager, dass sich damit kaum zwei, drei kleine Einmachgläser füllen liessen – also ähnlich dürftig wie die Nachrichtenlage im Hochsommer. Ob die Bezeichnung der nachrichtenarmen Zeit etwa daher rührt?

Nun, ich hatte offensichtlich keine Ahnung, wozu Gurkenpflanzen in der Lage sind, wenn sie sich wohlfühlen. Seit diesem Sommer weiss ich es. Und ich weiss jetzt auch endlich, was es mit der Sauren-Gurken-Zeit wirklich auf sich hat …

Saure-Gurken-Zeit ist die Zeit, in der sich dein ganzes Leben um die Gurken dreht. Tag für Tag steckst du mit deinem Kopf tief in den Ranken, um die unzähligen Gurken zu erspähen, die sich geschickt zwischen den Blättern verbergen. Pausenlos durchforstest du Küche, Keller und Vorratsraum nach noch mehr leeren Einmachgläsern, kurz vor Ladenschluss hastest du ins Dorf, weil du schon wieder den ganzen Essig aufgebraucht hast. Und am nächsten Morgen hastest du erneut, diesmal einfach, um grössere Einmachgläser zu besorgen, denn natürlich hast du vorgestern bei der Ernte den Kopf zu wenig tief zwischen die Ranken gesteckt und jetzt stehst du da mit vier, fünf Einmachgurken-Giganten, für die deine Gläser selbst dann zu klein sind, wenn du die Giganten in feine Scheiben schneidest.

Saure-Gurken-Zeit ist auch die Zeit, in der du erfährst, dass mindestens die Hälfte deiner Freunde und Verwandten das saure Zeug nicht leiden mögen und deshalb dankend ablehnen, wenn du deinen Überfluss mit ihnen teilen möchtest. Und weil du nicht so viel teilen kannst, wie du teilen möchtest, wird der Platz im Vorratsraum allmählich knapp und du musst du dir dringend etwas einfallen lassen. Vielleicht findet sich ja irgendwo im Internet dieses eine Geheimrezept, mit dem sich langweilige Gurken in eine unwiderstehliche Delikatesse verwandeln lassen, so dass auch der grösste Verächter deinem Geschenk nicht mehr widerstehen kann? (Und vielleicht wäre dieses Geheimrezept so umwerfend, dass sogar du noch auf den Geschmack von sauren Gurken kämest, denn offen gestanden kannst du das Zeug auch nicht ausstehen und legst die Dinger nur ein, weil dein Mann und deine Tochter so versessen sind darauf.)

Eine echte Saure-Gurken-Zeit, das weiss ich jetzt endlich, ist die Zeit, in der du mit deinen Gurken so beschäftigt bist, dass du schlicht und ergreifend keine Zeit findest, um dich gemütlich zurückzulehnen und die Zeitung zu lesen – selbst dann nicht, wenn der Sommer alles andere als nachrichtenarm ist.

2 Gedanken zu „Saure-Gurken-Zeit“

  1. Oh Tamar, ich wüsste jemanden, der dir ratzfatz die Gläser leert: mein Enkel Erik (8) kann ziemlich schnell mit dem sauren Inhalt fertig werden!

    Liebe Grüsse und hoffentlich bald gemütliche Zeitungslektüre wünsche ich dir!

    Annegret

    ___________________________

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    1. Dann bringe ich doch am Donnerstag ein Glas mit! Du musst mir nur verraten, wie Erik seine Gurken am liebsten mag, dann probiere ich das. (Ein bisschen Respekt habe ich natürlich schon – in Deutschland beherrscht man die Kunst der sauren Gurken ja sehr viel besser als bei uns. 😊)

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