Garten, Lernen

Ein Rüpel in der heilen Gartenwelt

Zum britischen Gartenlehrgang, den ich absolviere, gehört ein Forum, in dem sich online-lernende Gärtnerinnen und Gärtner aus aller Welt über die Dinge austauschen, die sie beschäftigen: Regierungsvorschriften im Zusammenhang mit Pestiziden, Ratschläge zum Kompostieren und zur Stecklingsvermehrung, Prüfungsangst, mysteriöse Schädlinge, die alles zerfressen, was ihnen in die Quere kommt, die Frage, ob Essig wohl als Unkrautvernichter taugen könnte, Schwierigkeiten mit dem Botanischen Latein …

Es ist ein wunderbar friedlicher Ort, dieses Forum. Ein Ort, an dem die Leute sich trauen, einander von ihren psychischen Problemen zu erzählen und wie ihnen das Gärtnern bei deren Bewältigung hilft. Ein Ort, wo sich Menschen finden, die sich dann im echten Leben zum gemeinsamen Lernen treffen. Ein Ort, an dem man so freundlich miteinander umgeht, dass selbst ich, die ich Onlineforen so gar nichts abgewinnen kann, immer mal wieder gerne mitlese. Eine ganz und gar heile Gartenwelt eben.

In diese heile Gartenwelt verirrte sich neulich einer, der sich von anderswo im Netz wohl einen etwas raueren Umgangston gewohnt ist. Und diesen Umgangston schlug er auch in einer Gesprächsrunde an, in der man sich in gepflegter Manier darüber unterhielt, wie mit dem schlechten Gewissen bezüglich der Rasenpflege umzugehen sei. Mehr Natur, mehr Raum für Kleinstlebewesen, weniger und benzinfrei Rasenmähen und erst recht keine Pestizide – das war der Grundtenor in der Runde, in die der Rüpel hineinplatzte.

Man solle sich als Rasenbesitzerin von der „woke brigade“ und den „daft lefties“ bloss nicht mobben lassen; wer ansonsten anständig mit der Natur umgehe, habe sich seinen manikürten Rasen redlich verdient, blaffte er die anderen an.

An anderen Orten im Netz hätte sich aus diesem Kommentar innert kürzester Zeit eine wüste verbale Keilerei entwickelt – hier aber nicht.

Er solle sich bitte in seinem Ton mässigen, hiess es in den Replies, so gehe man hier nicht miteinander um. Man respektiere ja seine Meinung, aber er solle die Rasenpflege nicht zu einem Politikum machen, das sei nun wirklich nicht der Ort für sowas. Eine Forumsteilnehmerin meinte, nachdem sie ihn sehr respektvoll in den Senkel gestellt hatte, er solle bitte nicht auf ihren Post antworten, sie werde seine Antwort ganz bestimmt nicht lesen. Einige outeten sich als überzeugte „daft lefties“ und stolze Mitglieder der „woke brigade“ – jedoch nur um zu betonen, sie hätten diese Überzeugung bis jetzt ja auch aus ihren Gartendiskussionen herausgehalten, der Rüpel solle daher mit seinen Gesinnungen gleich verfahren.

Bei so viel Widerstand kam der Rüpel natürlich nicht um eine Entschuldigung herum. Doch er hatte offenbar noch nicht ganz verstanden: Er entschuldigte sich so, wie man sich draussen in der rauen Online-Welt gemeinhin entschuldigt: „Sooo sorry, dass sich manche durch meine Aussage beleidigt fühlten, ABER …“

Damit kam er bei den Diskussionsteilnehmerinnen natürlich nicht an. Ob die Ablehnung, die ihm entgegenschlug, nur an seinem misslungenen Versuch einer Entschuldigung lag, weiss ich nicht. Vielleicht spielte da auch noch die Empörung mit, dass er sich in seinem Post einen bissigen Seitenhieb auf den Gartenheiligen Monty Don nicht hatte verkneifen wollen. Die Absolution wurde ihm auf alle Fälle verweigert, der Rüpel soll sich auch weiterhin zutiefst dafür schämen, dass er sich an diesem freundlichen Ort aufgeführt hat, als befände er sich irgendwo draussen im virtuellen Wilden Westen.

Nun, schämen wird er sich für sein Verhalten selbstverständlich nicht; wohl eher wird er sich anderswo ausheulen über diese verklemmte „woke brigade“, die ihm den Spass nicht gönnen wollte, nach seinen eigenen Regeln mitzuspielen.

Dies alles mag auf twittergestählte Leute vielleicht kleinkariert wirken, doch es war fast schon rührend, mit welchem Eifer hier für ein beleidigungsfreies Forum gekämpft wurde. Und dies natürlich vollkommen zu Recht: Zoffen muss man sich doch wahrlich nicht dort, wo herzensgute Idealisten sich redlich darum bemühen, diese Erde ein bisschen grüner und freundlicher zu machen – sondern dort, wo es fast schon unanständig wäre, den Mund zu halten.

Aussaat, Blumen, Garten

Erwischt!

Wie oft ich es schon mit der Aussaat von Stundenblumen (Hibiscus trionum) versucht habe? So genau weiss ich das nicht mehr. Vielleicht drei-, vier- oder gar fünfmal? Man müsste die Leute beim Saatguthändler meines Vertrauens fragen, die jeweils meine Bestellungen versandfertig machen. „Sie probiert‘s schon wieder“, haben sie vielleicht kopfschüttelnd zueinander gesagt, als sie immer und immer wieder ein Briefchen für mich aus dem Regal holen mussten. „Was die bloss falsch macht, das Zeug ist nun wirklich nicht sooooo schwer zu ziehen …“

Nein, so schwer sollte es wirklich nicht sein, eine Blume zu ziehen, die laut allen Beschreibungen schnell wächst, reichlich blüht und sich fröhlich selbst aussät. An manchen Orten soll sie gar wie Unkraut spriessen. Dennoch ist es mir erst nach zahlreichen Fehlversuchen gelungen, ein paar überlebensfähige Pflanzen an der Südmauer unseres Hauses anzusiedeln.

Die Stundenblumen anzusiedeln war offenbar das eine, sie dann auch noch beim Blühen zu erwischen, das andere. Die Guten öffnen ihre Blüten nämlich nur, wenn die Sonne scheint – und auch dann ist die Pracht bereits nach wenigen Stunden wieder verblüht. Am besten sässe man wohl den ganzen Sommer im Garten, um der Blume beim Wachsen und Erblühen zuzuschauen. Bloss: Wie soll das in diesem sonderbaren Sommer gehen? Zumal ich ja noch andere Dinge zu tun habe, als bei jedem Sonnenstrahl, der durch die Wolkendecke dringt, sofort nach draussen zu rennen um nachzusehen, ob die eigenwillige Schönheit sich nun endlich präsentieren mag.

Ich bin natürlich trotzdem immer wieder in den Garten gerannt – nur um den perfekten Augenblick schon wieder zu verpassen. Mal waren da nur noch ein paar verwelkte Blütenblätter, mal eine vielversprechende Knospe, die am nächsten Tag durch den Dauerregen erledigt wurde, mal ein müdes Blümlein, das gerade dabei war, sein dunkles Auge für immer zu schliessen.

Gut drei Wochen lang ging das so. Bis heute in der Mittagspause:

Und jetzt soll mir bloss keiner übelnehmen, dass ich für den Rest des Sommers im Garten sitzen werde um zu warten, bis es wieder passiert …

Garten, Gemüse

Saure-Gurken-Zeit

In meiner Jugendzeit waren das diese trostlosen Wochen im Sommer, während derer die Tageszeitung ein dünnes Blättchen war, in dem der überraschende Besuch der Zirkus-Seelöwen im örtlichen Schwimmbad zur Sensationsmeldung aufgeblasen wurde.

Später dann waren es die herausfordernden Wochen auf der Redaktion, während derer wir uns die absurdesten Sommerserien aus den Fingern saugten, um das Blatt irgendwie zu füllen. Und falls mal wirklich keine(r) mehr eine zündende Idee hatte, wurde ein bedauernswerter Praktikant in die Region entsandt, um ein paar ansprechende Fotos für eine Bilderseite zu schiessen.

Irgendwann verband ich mit dem Begriff eher mein alljährliches Ritual, auf dem Markt drei, vier Kilo Einmachgurken zu ergattern und zu Hause in Essig einzulegen, damit wir im Winter zum Raclette nicht mehr das scheussliche gezuckerte Fertigzeugs essen mussten. Warum man eine ganze Saison nach diesem Einmach-Prozedere benennen sollte, war mir jedoch ein Rätsel. So aufwendig ist es nun wirklich nicht, ein paar Gurken in gewürzten Essig einzulegen.

Ein paar Jahre später wuchsen dann die ersten Cornichons im eigenen Garten. Der Ertrag war so mager, dass sich damit kaum zwei, drei kleine Einmachgläser füllen liessen – also ähnlich dürftig wie die Nachrichtenlage im Hochsommer. Ob die Bezeichnung der nachrichtenarmen Zeit etwa daher rührt?

Nun, ich hatte offensichtlich keine Ahnung, wozu Gurkenpflanzen in der Lage sind, wenn sie sich wohlfühlen. Seit diesem Sommer weiss ich es. Und ich weiss jetzt auch endlich, was es mit der Sauren-Gurken-Zeit wirklich auf sich hat …

Saure-Gurken-Zeit ist die Zeit, in der sich dein ganzes Leben um die Gurken dreht. Tag für Tag steckst du mit deinem Kopf tief in den Ranken, um die unzähligen Gurken zu erspähen, die sich geschickt zwischen den Blättern verbergen. Pausenlos durchforstest du Küche, Keller und Vorratsraum nach noch mehr leeren Einmachgläsern, kurz vor Ladenschluss hastest du ins Dorf, weil du schon wieder den ganzen Essig aufgebraucht hast. Und am nächsten Morgen hastest du erneut, diesmal einfach, um grössere Einmachgläser zu besorgen, denn natürlich hast du vorgestern bei der Ernte den Kopf zu wenig tief zwischen die Ranken gesteckt und jetzt stehst du da mit vier, fünf Einmachgurken-Giganten, für die deine Gläser selbst dann zu klein sind, wenn du die Giganten in feine Scheiben schneidest.

Saure-Gurken-Zeit ist auch die Zeit, in der du erfährst, dass mindestens die Hälfte deiner Freunde und Verwandten das saure Zeug nicht leiden mögen und deshalb dankend ablehnen, wenn du deinen Überfluss mit ihnen teilen möchtest. Und weil du nicht so viel teilen kannst, wie du teilen möchtest, wird der Platz im Vorratsraum allmählich knapp und du musst du dir dringend etwas einfallen lassen. Vielleicht findet sich ja irgendwo im Internet dieses eine Geheimrezept, mit dem sich langweilige Gurken in eine unwiderstehliche Delikatesse verwandeln lassen, so dass auch der grösste Verächter deinem Geschenk nicht mehr widerstehen kann? (Und vielleicht wäre dieses Geheimrezept so umwerfend, dass sogar du noch auf den Geschmack von sauren Gurken kämest, denn offen gestanden kannst du das Zeug auch nicht ausstehen und legst die Dinger nur ein, weil dein Mann und deine Tochter so versessen sind darauf.)

Eine echte Saure-Gurken-Zeit, das weiss ich jetzt endlich, ist die Zeit, in der du mit deinen Gurken so beschäftigt bist, dass du schlicht und ergreifend keine Zeit findest, um dich gemütlich zurückzulehnen und die Zeitung zu lesen – selbst dann nicht, wenn der Sommer alles andere als nachrichtenarm ist.

Garten

Jetzt bloss nicht aufgeben

Plötzlich war sie da, diese Pandemie und für die meisten von uns stellte sich die Frage: Wohin mit all der Ohnmacht? Den Ängsten? Dieser völlig neuen Art von Stress? Vielleicht auch mit der Langeweile?

Für einige war die Antwort schnell gefunden: in den Garten, natürlich. Irgend etwas muss man doch tun, um diese elende Welt ein wenig besser zu machen. Und gibt es denn etwas Besseres, als Pflanzen wachsen zu lassen?

An all jene, die im letztes Jahr zum ersten Mal gesät, gepflanzt, gejätet und geerntet haben, muss ich in diesen Tagen immer wieder denken. Wie es ihnen wohl ergehen mag in diesem bislang eher schwierigen Gartensommer? Gedeiht der Idealismus noch – oder ist er im Dauerregen ertrunken, vom Hagel erschlagen, von den Schnecken zerfressen, von den Pilzkrankheiten geschwächt, unter den schlechten Nachrichten begraben?

Nun, auch wenn es schwerfällt und an manchen Orten schier unmöglich erscheint, möchte ich doch Mut machen: Jetzt bloss nicht aufgeben!

Erstens, weil dieser Sommer trotz allem noch nicht gelaufen ist. Für ein paar Zinnien, ein bisschen Borretsch und zwei, drei Salate ist es noch nicht zu spät.

Zweitens, weil kaum etwas gnädiger ist, als das Gärtnern. Mag der Sommer noch so schlecht sein, mögen einem noch so viele Anfängerfehler unterlaufen – nächsten Frühling gibt‘s eine neue Chance. Kaum eine andere Sache im Leben erlaubt so viele Neuanfänge.

Und drittens, weil diese Welt wohl nichts dringender braucht als Idealisten, die immer und immer wieder säen, anpflanzen, jäten und ernten, ganz egal, was da draussen wieder alles schiefläuft.

Aussaat, Blumen, Gemüse

Gibt‘s ja gar nicht

Zu Beginn dachte ich, was wohl die meisten Leute hierzulande denken: Die Gartensaison dauert von März bis November. Pfeifen draussen die ersten Vögel, geht es los, sind die letzten Dahlien verblüht und die Kürbisse geerntet, ist Schluss. Dann wirft man sich mit einem tiefen Seufzer aufs Sofa und schwört sich, die ganze Plackerei im nächsten Jahr bleiben zu lassen – nur um beim ersten Frühlingssonnenstrahl wieder ins Gartencenter zu rennen.

Die meisten Menschen sind mit diesem Rhythmus ganz glücklich, doch einigen reicht das, was sie im Gartencenter bekommen, irgendwann nicht mehr. Spüren sie zum ersten Mal den Frühling, sind dort noch immer nur Erika und Christrosen zu haben. Beim offiziellen Saisonbeginn präsentiert sich die Lage auch nicht besser, dann gibt‘s halt einfach Stiefmütterchen anstelle von Erika. Wer früher anfangen möchte und mehr Auswahl will, muss selber säen. Und dann beginnt die Gartensaison plötzlich schon im Januar …

Eine Zeit lang mag das gut gehen, die Peperoni- und Tomatensetzlinge bringen ausreichend Vorfreude in die grauen Wintertage. Doch plötzlich meldet sich da ganz leise und zaghaft die Frage: Warum eigentlich keine mehrjährigen Blumen ziehen, wo doch schon die ganze Ausstattung für die Anzucht vorhanden ist? Und weil mehrjährige Blumen halt etwas mehr Zeit brauchen als Tomaten, geht man nach der letzten Ernte nahtlos zur ersten Aussaat über. Womit endlich auch die gartenfreie Lücke im Spätherbst geschlossen wäre.

Selbstverständlich lässt sich auch das noch steigern. Wer wollte sich denn im Sommer mit Jäten, Giessen und Ernten begnügen? Wäre doch eine Schande, die Beete im Winter leer zu lassen, also geht es mit der Aussaat weiter, sobald das Sommergemüse im Boden ist. Ist schliesslich das Wintergemüse gepflanzt, sollte man sich ein paar Gedanken zur Stecklingsvermehrung machen …

Und irgendwann wird klar: Die Gartensaison gibt‘s gar nicht, hat dich der Garten nämlich erst mal im Griff, gehörst du ihm das ganze Jahr.

Blumen, Gemüse

Bitte entschuldigen Sie meine Absenz

Es ist wieder diese Zeit im Jahr, in welcher der Garten nicht die kleinste Unpässlichkeit duldet. Zwei, drei Tage mit Fieber und Gliederschmerzen im Bett und schon erwartet dich das pure Chaos, wenn du dich – noch ganz geschwächt und mit zittrigen Knien – endlich wieder nach draussen schleppst.

„Sieh mal an, wer sich auch mal wieder blicken lässt“, höhnen die Nacktschnecken. „Die glaubt aber nicht im Ernst, sie könne uns noch beikommen, nachdem sie dreimal die abendliche Schneckenrunde hat ausfallen lassen. Die wird vielleicht Augen machen, wenn sie sieht, wie wir uns derweilen mit ihren Ritterspornen vergnügt haben …“

Die Blattläuse stimmen natürlich umgehend in den Spott ihrer Schädlingskolleginnen ein: „Die hat aber nicht im Ernst geglaubt, sie könne sich aus dem Staub machen, nachdem sie läppische 90 Marienkäferlarven ausgesetzt hat? Hat die wirklich gedacht, damit könne sie uns in Schach halten? Ist ja fast schon süss, wie naiv die ist.“

Im Gewächshaus werde ich von den Tomaten überschwänglich begrüsst: „Ach, wie haben wir dich doch vermisst! Schau mal, wir haben ganz viele kräftige Triebe wachsen lassen, während du weg warst.“ „Aber das solltet ihr doch nicht, ihr wisst, dass das nicht gut kommt“, tadle ich. „Aber warum denn nicht? Triebe wachsen lassen macht Spass. Sieh nur, wie hübsch der hier geworden ist, der trägt sogar schon Blüten. Und diesen hier musst du dir unbedingt anschauen, der ist fast so dick wie dein Daumen. Beeindruckend, was wir in so kurzer Zeit fertigbringen, nicht wahr?“, plappern sie unbeirrt weiter.

Seufzend zücke ich mein Messer und desinfiziere die Klinge. „Du willst doch jetzt nicht etwa unseren wunderschönen Trieben zu Leibe rücken?“, protestieren die Pflanzen. Doch genau das will ich natürlich, denn was die Guten während meiner Abwesenheit angerichtet haben, ist schlicht nicht tragbar. Damit sie nicht allzu traurig sind, verspreche ich hoch und heilig, auch diese Triebe zu bewurzeln und in Töpfe auszupflanzen – wie ich es bereits mit zehn anderen getan habe.

Hinter dem Haus lässt der orientalische Mohn seine schweren Köpfe hangen. „Wolltest mal wieder nicht auf Monty Don hören“, schimpfen sie. „Wie oft hat er schon gesagt, dass du die Stützen anbringen musst, bevor wir gross und üppig sind – schau bloss, was das gestrige Gewitter mit uns angerichtet hat.“

Auch der winzige Phlox, den ich im Winter gezogen habe, begrüsst mich mit einem Vorwurf: „Weisst du eigentlich, wie lange ich auf dich gewartet habe? Seit Tagen schon wollte ich dir meine allererste Blüte zeigen, aber du lässt dich nicht ein einziges Mal blicken. Ich habe ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, zu verblühen.“

Nachdem ich mich bei dem armen Phlox, der zwar noch etwas kümmerlich, aber wunderschön ist, gebührlich für meine tagelange Absenz entschuldigt habe, bin ich leicht bedrückt. Wie soll mein Garten jemals so werden, wie ich ihn mir erträume, wenn die Dinge schon nach wenigen Tagen Abwesenheit derart aus dem Ruder laufen?

Gerade will ich ein Lamento anstimmen, da fällt mein Blick auf eine fette Marienkäferlarve. Es muss eine derjenigen sein, die ich letzte Woche ausgesetzt habe – und die in dieser kurzen Zeit am üppigen Blattlaus-Büffet offensichtlich kräftig zugelangt hat. „Mach dir bloss keine Sorgen“, sagt sie fröhlich, „wir haben die Sache ziemlich gut im Griff – auch wenn es im Moment noch nicht ganz danach aussieht.“

Gemüse

Dann halt eben doch ein Dschungel

Den Vorsatz, die Tomaten dieses Jahr nicht wieder wild wuchern zu lassen, habe ich bis jetzt erstaunlich gut eingehalten. Kein einziger Achseltrieb hat es bisher geschafft, höher als ein paar Zentimeter zu wachsen. Kommen sich zwei Pflanzen zu nahe, werden die Guten daran erinnert, wem welcher Stab zum Hochwachsen zugeteilt ist. Und schafft es ein Seitentrieb trotz aller Wachsamkeit, dem Boden entlang zu wuchern, kommt mein neues scharfes Messer zum Einsatz.

So einfach ist es also, im Gewächshaus für mehr Ordnung und Disziplin zu sorgen. Und zugleich so schwierig …

Mit dem Ausgeizen kommen nämlich neue Probleme. Nein, ich meine jetzt nicht all die Glaubensfragen, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden. Nicht die Wunden, die man der Pflanze zufügt, nicht die viele Zeit, die man für Besseres verwenden könnte, nicht die Notwendigkeit des Hochbindens.

Mein Problem sind die kleinen Triebe.

Wie, um Himmels willen, soll frau es übers Herz bringen, die herzigen Dinger im Grünabfall zu entsorgen, wie sollte sie mitansehen, wie sie in einem Jauchefass verrotten – wo die Kleinen doch ebensogut in einem Wasserglas ein paar Wurzeln spriessen lassen können, um zu neuen starken Pflanzen heranzuwachsen? Pflanzen, die sich perfekt als Backup eignen, falls irgendwann im Laufe der Saison die Braunfäule um sich greifen sollte.

Tja, und so wird wohl in meinem Garten auch dieses Jahr wieder ein Tomatendschungel wuchern. Diesmal einfach nicht eingepfercht im Gewächshaus, sondern überall dort, wo es noch Platz für einen Topf hat.

Aussaat, Blumen, Gemüse

Funktioniert auch drinnen

Die Erde sterilisieren, Gemüse und Blumen ansäen, brav giessen, pikieren, umtopfen und sich dran freuen, wie es im Zimmergewächshaus, das im Büro steht, immer grüner wird.

Und dann eines Tages feststellen, dass auch hier, an diesem geschützten Ort, Blattläuse auftauchen können. Wie? Warum? Woher? – Keine Ahnung, aber die Viecher waren gekommen, um zu tun, was sie eben tun: Schaden anrichten und nerven.

Allzu lange konnten sie ihre Schandtaten jedoch nicht vollbringen, denn kaum waren sie da, krabbelte auch schon die erste Marienkäferlarve auf den Blättern rum, ein paar Tage später bereits die zweite. Scheinbar aus dem Nichts waren die beiden aufgetaucht, um die biologische Schädlingsbekämpfung zu übernehmen.

Gut, man könnte jetzt die Nase rümpfen, weil es sich bei den Käfern allem Anschein nach um die zugewanderten grossen Geschwister unserer heimischen Marienkäfer handelt. Ich habe jedoch beschlossen, mich einfach nur zu freuen, dass das uralte Zusammenspiel von Schädlingen und Nützlingen auch im Haus funktioniert – und dies ganz ohne mein Zutun.

Und falls mir jemand eine weitere Freude machen möchte: Hier könnt ihr eure Stimme für unseren Garten abgeben.

Gemüse

Schluss mit dem Wildwuchs!

Nein, dieses Jahr wird es mir nicht wieder passieren, komme was wolle.

Die Tomaten werden mir nicht wieder über den Kopf wachsen.

Es werden nur so viele gepflanzt, wie der gesunde Menschenverstand gebietet, und die Beete werden nicht wieder im Übermut überfüllt, weil es auf eine oder zwei Pflanzen mehr doch bestimmt nicht ankommt. Was zuviel ist, muss eben in einem anderen Garten unterkommen. (Okay, vielleicht lässt sich ja noch der eine oder andere Topf auftreiben …)

Diesmal werden die Guten auch nicht in alle Richtungen spriessen, bis das ganze Gewächshaus zugewuchert ist, sodass kein Durchkommen mehr ist und alles, was sonst noch an der Wärme gedeihen möchte, weder Licht noch Raum bekommt. Schön geordnet werden sie an ihren Stäben hochklettern, wie es sich für anständige Tomaten gehört. Was auszugeizen ist, wird ausgegeizt – und wenn das Dach erreicht ist, ist Schluss, dann gibt es einen Schnitt.

Für einmal soll das alles ganz vernünftig und gesittet laufen wie im Gartenratgeber – und nicht wild und unkontrolliert wie in anderen Jahren. Ein lehrbuchmässiger Tomatenanbau, der Krankheiten möglichst wenig Chancen lässt und hoffentlich dem Ertrag zugutekommt.

Es ist ja nicht so, dass ich das alles nicht schon vorher gewusst hätte. Aber vom Wissen bis zum buchstabengetreuen Umsetzen ist es zuweilen ein weiter Weg. Ein Weg, der in meinem Fall vorbeiführte an Braunfäule, an voll behangenen Zweigen, die unter ihrer Last brachen, ehe die Früchte reifen konnten, an wuchernden Trieben, die irgendwann das Dachfenster hoben und den Regen ins Gewächshaus brachten und ein paar anderen Fehlern.

All das war ziemlich frustrierend, aber offenbar auch nötig, denn nur so verstand ich irgendwann: Im Garten habe nicht ich das Sagen, sondern die Pflanzen, denen ich darin ein Zuhause biete.

Aussaat, Blumen, Gemüse

Gewürfelt

Zu Beginn glaubte ich ja, mit zwei, drei Saatschalen auskommen zu können. Da wusste ich halt noch nicht, wie ausufernd die Sache mit den selbstgezogenen Pflänzchen werden würde. Und natürlich wusste ich auch nicht, wie kurzlebig diese Saatschalen sind. Zwei Saisons im Einsatz, zwei Winter im Keller und schon zeigten sich erste Risse. Also definitiv nichts für jemanden, der gerne mit möglichst wenig Plastik auskommt.

Im nächsten Jahr versuchte ich es mit Kokos-Quelltabletten. Die waren ganz handlich und brauchten wenig Platz. Doch längst nicht jede Pflanze fühlte sich darin wohl. Und mein grünes Gewissen rebellierte natürlich auch bald wieder: „Was hilft es, auf Plastik zu verzichten, wenn du dann mit einem Material arbeitest, das vom anderen Ende der Welt hergeflogen wird?“

Einen Moment lang dachte ich darüber nach, es stattdessen mit selbstgebastelten Paper Pots zu probieren. Immerhin hätte dann die Tageszeitung, die noch immer gratis ins Haus flattert, einen Nutzen. Nachdem ich einen ersten Zeitungsbund verarbeitet hatte, war mir jedoch klar: Paper Pots eignen sich nur für Garten-Minimalisten. Wer sich mit zwei Tomatenpflanzen, einem Kürbis und einer Zucchini zufrieden gibt, mag damit glücklich werden. Wer aber einen ganzen Garten bunt und üppig gestalten möchte, wird mit dem Rollen nicht mehr fertig. Der zweite Bund der Zeitung wanderte daher ins Altpapier und ich suchte weiter nach einer Lösung.

Schliesslich stieg ich auf Pflanztöpfe aus Holzfasern um – selbstverständlich torffrei. Damit hätte ich eigentlich ganz gut leben. können (Zugegeben: Ich habe nicht bis ins letzte Detail recherchiert, ob da auch alles so sauber ist, wie ich es mir gerne einbilde.) Das Dumme war bloss, dass ich inzwischen in Sachen Aussaat jegliches Mass verloren hatte. Da ich nicht nur für den eigenen Garten Pflänzchen ziehe, sondern Jahr für Jahr eine Menge Setzlinge verschenke, kommen schnell einmal ein paar Hundert Töpfchen zusammen. Und ein paar Hundert Töpfchen sind leider nicht ganz billig.

Also musste schon wieder eine Alternative her, und ich glaube, sie gefunden zu haben: die Erdtopfpresse.

Damit lässt sich mit ein paar wenigen Handgriffen in kürzester Zeit ein ganzer Sack Aussaaterde in hübsche kleine Würfel mit Vertiefung für das Saatgut verwandeln. Die Erde muss einfach schön feucht sein, damit die Würfel gut in Form bleiben. Und wer nicht eine Menge Trauermücken ins Gewächshaus einschleppen möchte, tut gut daran, sie vor dem Würfeln zu sterilisieren.

Sieht ganz so aus, als hätte ich endlich das System gefunden, das meinen Vorstellungen entspricht: schnell, unkompliziert, günstig, nahezu plastikfrei – und Pikieren ist auch nicht mehr nötig. Sogar die Saatschalen aus alten Zeiten, die noch halbwegs intakt sind, erweisen sich als nützlich, denn irgendwo wollen die Würfel ja stehen. (Ein einfaches Brett tut es zwar auch …)

Einen einzigen Haken hat die Sache natürlich dennoch: Das Ganze läuft so glatt, dass ich erst recht keinen Grund mehr sehe, bei der Aussaat Mass zu halten.