Gemüse

Geteilt

Die Artischockenpflanzen sind müde geworden. Zwar fühlen sie sich hinter ihrem halbrunden Steinmäuerchen auf der Südseite des Hauses grundsätzlich pudelwohl und sie zeigen sich stets äusserst dankbar, wenn sie nach Weihnachten die Äste des Tannenbaums als Winterschutz bekommen – doch nach fünf, sechs guten Ernten mögen sie nicht mehr so recht.

Damit war eigentlich zu rechnen, Artischocken sind nun mal so. Dennoch habe ich es komplett verpasst, Saatgut zu bestellen, um rechtzeitig neue Setzlinge heranzuziehen. Bleibt mir also nur noch die Möglichkeit, mit Ablegern zu arbeiten, wenn ich weiterhin ernten will.

Das Teilen von Artischockenpflanzen wird auf gewissen Seiten als eine hohe Kunst dargestellt, die nur den allerbesten Gärtnerinnen gelingen kann. Gerade so, als handelte es sich um eine Operation am offenen Artischockenherzen, die nur nach mehrjährigem Studium durchgeführt werden darf.

Hätte ich nicht gestern Abend auf BBC 2 gesehen, wie Monty Don mit ein paar beherzten Spatenstichen einer Cardy-Pflanze zu Leibe rückte, um sie zu teilen, hätte ich mir die Sache wohl nicht zugetraut. So aber hinderte mich nichts mehr daran, heute Nachmittag zum Spaten zu greifen und meine müden Artischocken auszugraben. Es ging sehr viel leichter als erwartet, die Ableger lösten sich fast schon von selbst von der Mutterpflanze. Das scharfe Messer, von dem in allen Anleitungen die Rede ist, blieb ungenutzt. Nachdem ich die äusseren Blätter entfernt hatte, waren die Kleinen bereit, an neuer Stelle im Garten eingepflanzt zu werden. Noch etwas Wasser drüber und eine dicke Schicht Stroh zum Schutz vor kalten Nächten und fertig war die Pflanzaktion.

Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob die angeblich so hohe Kunst wirklich dermassen simpel ist – oder ob ich in einem Anflug von Übermut meine müden Artischockenpflanzen mitsamt ihren jungen Ablegern ruiniert habe.

Aussaat, Familie

Kinderrabatt

Früher, als ich mich noch öfters mal mit den Kindern in Schuhläden herumtreiben musste, schaute ich zum Schluss immer noch kurz, ob es bei den Mädchenschuhen etwas Hübsches in meiner Grösse gäbe. So kam ich mehr als einmal zu unverschämt günstigen Schuhen. Kinderrabatt für zu kurz geratene Erwachsene, sozusagen.

Dass es diesen Rabatt auch andernorts zu holen gibt, habe ich heute ganz unerwartet erfahren. Und das kam so:

Letzten Samstag wollte ich nur mal kurz ein paar Blumen ansäen und plagte mich dann endlos mit dem viel zu grossen Rechen ab, um ein winziges Fleckchen Erde zu einer feinen Krume zu harken. Der Fall war klar: Will ich mir bei den nächsten Aussaat nicht wieder bei jeder unbedachten Bewegung mit dem Rechenstiel eins überbraten, muss ein handlicheres Gerät her.

Im Gartencenter wurde ich rasch fündig. Ein edles Werkzeug aus holländischer Produktion, leicht, handlich, stabil, perfekt für meine Bedürfnisse – und ziemlich teuer. Wer sich beim Rechen keine Beulen holen will, muss offenbar bereit sein, anderweitig zu bezahlen.

Oder aber, genau wie beim Schuhkauf, eine Runde durch die Kinderabteilung drehen. Gut versteckt zwischen kleinen Giesskannen und knallbunten Schäufelchen hängt dort nämlich der exakt gleiche Rechen. Das gleiche edle Modell, handlich, leicht, stabil und perfekt für meine Bedürfnisse.

Der Unterschied zum Erwachsenenmodell? Ein riesiger „Junior“-Aufdruck auf dem Stiel – und eine halb so grosse Zahl auf dem Preisschild.

Gemüse

Eingebuddelt

So langsam wird es Zeit, die Beete vorzubereiten und darum war heute Gartenarbeit angesagt – obschon mich gestern jemand gewarnt hatte, heute werde kein guter Gartentag, der Wetterfrosch habe gerade mal 9 Grad vorausgesagt und das sei doch viel zu kalt für die Jahreszeit. Ich entgegnete, im Februar hätte ich schon kältere Tage erlebt, wir würden es uns daher nicht nehmen lassen, rauszugehen. Und wir hatten ja auch wirklich ziemlich viel zu tun: abgestorbene Pflanzen beseitigen, Hochbeete mit frischer Erde auffüllen, letzte Stauden zurückschneiden, Ollas reinigen …

Die Ollas sind die beste Anschaffung, die ich für den Garten jemals getätigt habe. Die Bewässerungstöpfe aus unversiegeltem Ton, die fast bis zur Öffnung in die Erde eingegraben werden, haben nicht nur unseren Wasserverbrauch drastisch gesenkt. Sie ersparen mir auch eine Menge Ärger. Wie oft habe ich mich doch an heissen Sommertagen frühmorgens laut schimpfend mit dem viel zu langen Gartenschlauch abgeplagt. Seitdem die Ollas in der Mitte der Hochbeete sitzen, muss ich nur noch alle paar Tage mit der Giesskanne nachfüllen und die Tomaten, Gurken, Kürbisse und Peperoni können sich wieder so viel Wasser holen, wie sie brauchen. (Klar, ich könnte zum Auffüllen den Schlauch ausrollen, um mir die Giesskannenschlepperei zu ersparen, aber dann muss sich wieder die ganze Nachbarschaft mein Gezeter anhören und das ist auch dann nicht sonderlich angenehm, wenn es nur noch alle paar Tage vorkommt.)

Das Bewässerungssystem hat noch andere Vorzüge: Die Blätter der Tomatenpflanzen bleiben beim Giessen schön trocken und sind dadurch weniger anfällig für Pilzkrankheiten. Und sollte es tatsächlich wiedermal möglich werden, im Sommer zu verreisen, ist es bestimmt einfacher, jemanden zu finden, der oder die mir ab und zu meine Ollas auffüllt, damit während unserer Abwesenheit nichts verdurstet.

So überzeugend das alles auch klingen mag – im ersten Moment zögerte ich dennoch, ob ich mir die Töpfe leisten soll, denn ganz billig sind sie nicht. Um mit dem Zögern irgendwann zu einem Ende zu kommen, fing ich daher an, nach Anleitungen zum Selberbauen zu suchen. Solche Anleitungen findet man zuhauf und sie klingen alle ganz und gar überzeugend: „Du brauchst nur das und das und das und dann natürlich noch das und wenn du das alles beisammen hast, machst du es so und so und so und zum Schluss noch so – und fertig sind deine selbstgebauten Ollas. Also, natürlich nur, wenn du bei Schritt drei alles richtig gemacht hast und auch ganz sicher nicht das falsche Material erwischt hast. Und falls du es trotzdem komplett verhauen hast, kannst du ja einfach ein paar Löcher in eine PET-Flasche bohren, das Ding mit einem Damenstrumpf überziehen und in der Erde verbuddeln. Was du mit den unbrauchbaren Ollas machen sollst, die du vergeblich gebastelt hast? Keine Ahnung, musst dir halt etwas einfallen lassen.“

Es mag Menschen geben, die sich von solchen Anleitungen nicht entmutigen lassen, mir jedoch vergeht die Freude schon beim Lesen. Und weil ich in meinem Leben schon ein paar äusserst unbefriedigende Bastelerfahrungen gemacht habe – meine Kinder könnten das eine oder andere Liedchen davon singen -, gelangte ich zu dem Schluss, lieber die Zeit als das Geld zu sparen. Ein Entscheid, den ich, wie bereits erwähnt, noch keinen Moment bereut habe.

Der Ehrlichkeit halber muss eines allerdings noch gesagt sein: An manchen Orten ist zu lesen, Ollas würden dabei helfen, die Schnecken in Schach zu halten, weil die Erde nicht so feucht werde wie beim herkömmlichen Giessen. Ich habe da andere Erfahrungen gemacht. Die Viecher lieben es nämlich, sich auf dem kühlen, feuchten Ton von ihren Fressorgien zu erholen.

Na ja, immerhin sind sie so alle an einem Ort versammelt, was es leichter macht, ihnen den Garaus zu machen …

Familie, Gartenbegegnungen

Ein Versuch, mehr nicht

Man kann sich ja schon fragen, ob es nicht Besseres zu tun gäbe, als in der Erde zu wühlen, Pflänzchen zu ziehen, Blumenbeete anzulegen, Brennnesselgülle anzusetzen und sich mit Krautfäule, Mehltau und Mosaikvirus herumzuschlagen. Wir haben ja weiss Gott wichtigere Probleme auf dieser Welt.

So ähnlich dachte wohl auch der sehr aufrechte und sehr um mein Seelenheil besorgte junge Mann, der mich mal fragte, wie ich es denn eigentlich verantworten könne, so viel Zeit im Garten zu verbringen, wo die Welt doch gerade vor die Hunde gehe. Das Jüngelchen nervte mich gewaltig, hatte er doch keine Ahnung davon, wie unausstehlich eine Mutter mittleren Alters werden kann, wenn sie nicht hin und wieder die Gelegenheit bekommt, draussen im Garten nach ihrem verlorenen Verstand zu graben. (Andere Mütter mögen andere Strategien haben, um ihren Verstand wiederzufinden, aber irgendetwas in der Art brauchen wir wohl alle, um mit dem ganz alltäglichen Wahnsinn klarzukommen.) Da mischte sich einer, der noch komplett grün hinter den Ohren war und nicht den leisesten Schimmer von meinem Leben hatte, in meine Angelegenheiten ein, gerade so, als hätte ich ihn um seinen ach so weisen Rat angefleht.

Aber zurück zum eigentlichen Thema: Der sehr aufrechte und sehr um mein Seelenheil besorgte junge Mann nervte mich also gewaltig – und doch musste ich mir insgeheim eingestehen, dass mir der Gedanke, den er ansprach, nicht gänzlich fremd ist. An manchen Tagen, wenn meine Twitter-Timeline mal wieder voll ist von Meldungen über das Elend in den Flüchtlingslagern, den Hass und die Gewalt gegen Frauen, die Gier nach Geld, die Zerstörung der Natur, das Wüten des Virus, … dann denke ich hin und wieder schon: „Und du machst dir ernsthaft Gedanken darüber, ob du den Fingerhut vor oder hinter dem Haus pflanzen sollst und ob du es in dieser Saison doch nochmal mit Rosenkohl probieren sollst? Ganz schön biedermeierlich …“

Nein, ich brauche wahrlich keinen Besserwisser, der mich auf trübe Gedanken bringt, ich bin durchaus selbst in der Lage, mich angesichts des Weltgeschehens in einen tiefen Pessimismus hineinzusteigern und mir ein schlechtes Gewissen einzureden.

Und doch bleibe ich selten bei Pessimismus und schlechtem Gewissen stehen. Zu sehr fühle ich mich verantwortlich für das Fleckchen Erde, auf dem sich fast mein ganzes Leben abspielt. Soll ich es vielleicht zur Steinwüste verkommen lassen, in der sich kein Käferchen, kein Pflänzchen und schon gar kein Mensch wohlfühlt? Muss ich nicht wenigstens hier, wo ich ohnehin kaum wegkann, weil andauernd jemand etwas von mir braucht, dafür sorgen, dass die Welt ein wenig bunter und blumiger – und damit hoffentlich ein kleines bisschen besser – wird? Sind all die Gartenbegegnungen, bei denen mir wildfremde Menschen von ihren Kindheitserinnerungen erzählen, denn nichts wert? Ist es wirklich so falsch, meinen Kindern die Erfahrung mit auf den Weg zu geben, wie viel besser eine Tomate schmeckt, die keinen weiten Weg zurückgelegt hat, sondern eben noch von der Sonne beschienen wurde? Schadet es ihnen vielleicht, jetzt schon zwei, drei Dinge über das Gärtnern mitzubekommen, wo sie doch früher oder später wohl ohnehin auf die Idee kommen werden, ihr eigenes Gemüse zu ziehen, weil das bei uns anscheinend in der Familie liegt? Sollte ich es nicht zumindest versuchen, meinen kleinen Beitrag zu mehr Natur zu leisten?

Natürlich, es ist nur ein kläglicher Versuch, zumindest im Kleinen ein wenig auszugleichen, was im Grossen alles schiefläuft – aber immerhin ist es ein Versuch.

Aussaat, Blumen

Noch mehr Kälte

Wo es mit dem Rittersporn so prächtig funktioniert hat, habe ich gleich weitergemacht mit der Kältebehandlung – diesmal sogar ganz ohne Kühlschrank, weil es draussen ja kalt genug war.

In der zweiten Runde waren Phlox, Schafgarbe und Lavendel dran. Nach drei Wochen bei Schnee, Wind und Eis auf dem Balkon stand letzte Woche die Aussaat an. Die Schafgarbe brauchte danach gerade mal drei Tage, um zu keimen, der Lavendel fünf. Beim Phlox dauerte es ein wenig länger, aber inzwischen erscheint auch in dieser Saatschale das erste Grün.

Warum der ganze Aufwand? Das Zeug bekommt man doch in jeder halbwegs anständigen Gärtnerei. „Aber nicht in den Farben, die ich gewählt habe“, würde ich bei Phlox (Crème Brûlée) und Schafgarbe (irgend etwas in Pastell, die Beschriftung ist leider nicht mehr lesbar) antworten.

Und beim Lavendel?

Nun, da reut mich ganz einfach das Geld für die vielen fertigen Pflänzchen, die ich kaufen müsste. Mit dem Lavendel ist es nämlich so eine Sache: Ich weiss, dass ein insektenfreundlicher Garten nicht ohne auskommt; soll er optisch seine Wirkung entfalten, reichen ein, zwei kümmerliche Stauden nicht aus, aber so richtig warm geworden bin ich mit ihm noch nie, denn sein Duft beschert mir üble Kopfschmerzen.

Ihn selbst zu ziehen, ist daher ein reiner Vernunftentscheid: Bienen, Hummeln und Schmetterlinge sind glücklich, aber dem Portemonnaie tut‘s nicht weh.

Und wer weiss, vielleicht schliesse ich ihn ja doch noch ins Herz, wenn ich ihn von der Aussaat bis zum Erblühen begleite – Kopfweh hin oder her.

Gartenbegegnungen

Saisonbeginn

“Signora, riverrà la neve“, warnt mich eine ältere Frau aus dem Quartier jedesmal, wenn sie mich vor Mitte Mai im Garten erwischt. Der Schnee werde wiederkommen und dann sei jegliche Gartenarbeit, die ich jetzt schon verrichte, für die Katz. Gerade so, als würde ich im Februar bereits Tomaten, Gurken und Peperoni auspflanzen.

Das tue ich natürlich nicht. Ich habe heute nur mal einen ersten Augenschein genommen: Welche Pflanzen müssen in den nächsten Tagen zurückgeschnitten werden? Wo hat sich Unerwünschtes breitgemacht? Wo gibt es Raum für Neues? Was blüht bereits?

Also alles absolut vernünftig und vollkommen saisongerecht – ihre Warnung hätte sie sich heute daher sparen können. Für Menschen wie mich beginnt die Gartensaison nun mal nicht erst dann, wenn die Prospekte mit den Garten-Sonderangeboten ins Haus flattern.

Vielleicht ist es dennoch ganz gut, dass die Frau bei jeder unserer Begegnungen versucht, mir ein wenig Vernunft beizubringen. Momentan mag es mir noch leicht fallen, nach einer halben Stunde Gartenarbeit wieder rein an die Wärme zu gehen, aber sobald der Frühling wirklich da ist, gibt es kein Halten mehr.

Und dann könnte es durchaus passieren, dass ich die Peperoni im Übermut zu früh auspflanze.

Familie

Heute mal ein anderes Thema

Da sitzen wir nun also seit fast einem Jahr, wir sieben. Wie die meisten haben auch wir uns irgendwie arrangiert, haben ein paar neue Formen des Zusammenseins gefunden, kommen mit der Situation mal besser, mal schlechter klar. Es ist ein gegenseitiges Tragen und einander Ertragen, wie wir es in all den Jahren des Familienlebens noch nie erlebt haben.

So vieles von dem, was die Kinder sonst mit ihren Freundinnen und Freunden besprechen, kommt jetzt am Familientisch zur Sprache.

So mancher blöde Spruch, den man sonst nie und nimmer in Gegenwart der eigenen Mutter fallen lassen würde, kann nicht warten, bis Corona endlich vorbei ist. Also hört Mama halt mit – und kontert vielleicht mit einem Witz, den zu normalen Zeiten nicht mal die erwachsenen Kinder von ihr zu hören bekämen.

So viele grosse Fragen des Lebens, die wir Eltern gewöhnlich mit Freunden bei einem gemütlichen Abendessen erörtern würden, fliessen nun halt in die Gespräche mit den Kindern ein.

So manche Sorge, die sich im Alltagstrubel gewöhnlich überspielen lässt, liegt jetzt, wo jegliche Ablenkung fehlt, ganz offen auf dem Tisch – ja, genau auf dem Tisch, auf dem in den vergangenen Monaten doch tatsächlich auch ab und zu ein 1500-Teile-Puzzle lag, weil man sich ja irgendwie die Zeit vertreiben muss.

So viele Sonntage im neuen, ungewohnten Rhythmus, dass dieser schon längst zur neuen Gewohnheit geworden ist: mittags Brunch – nachmittags Spaziergang oder so tun, als hätte man nicht mitbekommen, dass einige spazieren wollen – abends Pasta fatta in Casa.

So zahlreich die Online-Einkäufe, dass alle allen zur Modeberatung werden. Zwischen den verschiedenen Stilen mögen zwar Welten liegen, doch Bruder, Schwester, Mutter oder Vater sind in ihrem Urteil wenigstens gnadenlos ehrlich.

So häufig am Abend noch das Bedürfnis, sich die Dinge von der Seele zu reden, die im veränderten Alltag nirgendwo sonst deponiert werden konnten.

So viele Zeiten, die gewöhnlich jede und jeder mit eigenem Programm füllt, die jetzt zu gemeinsamen Zeiten geworden sind.

So ausufernd die Diskussionen, weil jeder die Grenzen des aktuell Erlaubten etwas unterschiedlich interpretiert.

Elternsein, Erwachsenwerden, Teeniezeit, das alles ist anders als gewohnt. Intensiver, tiefschürfender, herzlicher, manchmal vielleicht auch enger, als es uns allen gut täte.

Ich bin zutiefst dankbar, dass wir einander haben und es fast immer irgendwie aushalten miteinander – und hundemüde, weil sich noch selten im den letzten zwanzig Jahren so viel Familienleben in einer solchen Dichte abgespielt hat.

Aussaat, Gemüse

Planungsrunde

Die grosse Saatgutbestellung ist eingetroffen und somit ist klar, dass ich die Sache nicht mehr lange aufschieben kann. Nein, nicht die Aussaat, darauf freue ich mich wie ein kleines Kind – obschon ziemlich viel Arbeit auf mich wartet, da ich es mit der Vielfalt mal wieder masslos übertrieben habe.

Auch die Sache mit den Mischkulturen bereitet mir kein Bauchweh. Dass nicht jede beliebige Pflanze mit jeder anderen beliebigen Pflanze das Beet teilen möchte, finde ich absolut einleuchtend. Wäre mir ja auch nie in den Sinn gekomme, mit dem erstbesten Dahergelaufenen Tisch und Bett zu teilen.

Damit auch meinen Pflänzchen das Glück beschert ist, mit einem passenden Partner durchs Leben zu gehen, verwende ich daher jedes Jahr ziemlich viel Zeit auf die Planung der Beete. Mit kleinen bunten Post-its und unter gelegentlichem Spicken auf der Mischkulturen-Liste des Saatgutherstellers meines Vertauens bilde ich für jedes Beet eine passende Pflanzgemeinschaft. Tomaten, Kopfsalat und Tagetes, zum Beispiel, oder Zucchini, Wirsing und Spinat, Peperoni, Petersilie und Gurke oder – der Klassiker schlechthin – Kürbis, Mais und Bohnen (wobei ich nicht eine einzige Bohne ernten konnte, ganz so toll funktioniert hat das bei mir also nicht). Diese Arbeit braucht zwar Zeit, lohnt sich aber durchaus und darum werde ich auch dieses Jahr wieder stundenlang Zettelchen hin und her schieben, bis alle ihre passende Begleitung gefunden haben.

Dass sich die Auseinandersetzung mit dem Thema Fruchtwechsel nun jedoch nicht länger aufschieben lässt, trübt meine Vorfreude auf die Gartensaison. Zu lange habe ich mir eingeredet, das sei nur so eine Erfindung von erfahrenen Gärtnerinnen, die den Anfängern unter die Nase reiben wollen, wie viel mehr sie wissen und können. Die wortreichen Erklärungen, warum das nötig sei, überflog ich zwar ab und zu, beruhigte mein schlechtes Gewissen dann jedoch immer mit der faulen Ausrede, im Hochbeet kämen mit dem Auffüllen der Erde doch bestimmt in jeder Saison wieder genügend Nährstoffe in den Boden. Die Sache mit den Schädlingen und Krankheiten, die ein leichtes Spiel haben, wenn ihre Lieblingspflanzen immer im gleichen Beet wachsen, blendete ich geflissentlich aus. Doch mit dieser Blauäugigkeit ist jetzt Schluss, in dieser Saison wird sauber geplant – obschon mir davor ganz furchtbar graut.

Okay, mir ist schon klar, was sich jetzt so mancher denkt, der wirklich drauskommt: Mach nicht so ein Theater, ist doch ein Kinderspiel. Starkzehrer, Mittelzehrer, Schwachzehrer, Gründungung und das immer schön im Turnus. So einfach geht das.

Ja, so einfach geht das, wenn man die Regel von Anfang an brav befolgt hat. Hat man aber stattdessen wie ich wild drauflos gegärtnert, ist dieses Jahr eine sehr mühsame, sehr intensive Vorbereitungsrunde mit endlos vielen Zettelchen und schlecht gezeichneten Plänen angesagt.

Es sei denn, es gelänge mir, den Mann an meiner Seite zu ein, zwei weiteren Hochbeeten zu überreden, damit ich beim Turnus leichter tricksen kann … (Und weil ich mir ja nicht den erstbesten Dahergelaufenen als Tisch- und Bettgefährten ausgesucht habe, sondern einen durchaus vernünftigen Menschen, lässt er sich vielleicht sogar von meinem Ansinnen überzeugen.)

Blumen

Um den Finger gewickelt

Stiefmütterchen habe ich eigentlich noch nie gemocht, schon als Kind nicht. Wie sie da jeweils palettenweise in den Gartencentern hocken und einen mit ihren viel zu grell umrandeten dummen Gesichtern anstarren, nervte mich schon, als ich noch keinen Moment dran dachte, mal selber einen Garten zu haben. Landauf, landab glotzen sie einen aus Vorgärten, Balkonkistchen und Blumentrögen an – und die Bienen haben rein gar nichts von dieser üppigen Bepflanzung. Stiefmütterchen in meinem Garten? Niemals! Frau hat ja schliesslich ihre Prinzipien.

Und jetzt ist mir doch tatsächlich dieser Ausrutscher passiert …

Es war kurz vor dem Brexit, als es noch keine Probleme mit Saatgutbestellungen aus England gab. Draussen war es trüb und grau und auf einmal sahen all die knallbunten britischen Züchtungen unglaublich anziehend aus – sogar die Stiefmütterchen. Und ehe ich mich’s versah, lag so ein zuckersüsses Pansy-Ding im Warenkorb. Was man kauft, muss man auch ansäen und so wuchsen in meinem Zimmergewächshaus neben Mehlsalbei, Lavendel und Echinacea halt auch ein paar Stiefmütterchen heran. Eines dieser Pflänzchen stellte sich als besonders ambitioniert heraus, es öffnete seine erste Blüte bereits, als draussen noch Schnee lag.

Tja, und jetzt teile ich mir das Büro halt mit einem Stiefmütterchen. Es glotzt nicht so blöd, wie seine grellen Artgenossen aus dem Gartencenter, es ist einfach nur unglaublich hübsch und ausgesprochen sympathisch. So freundlich schaut es drein, dass ich mich – und das ist mir jetzt fast ein wenig peinlich – in das zuckersüsse kleine Ding verguckt habe.

Frau ist offenbar nicht ganz so prinzipientreu, wenn der Winter allzu lang und allzu grau ist.

Allgemein

Was man nie – aber auch wirklich gar nie – tun sollte …

… zumindest dann nicht, wenn man vollkommen masslos ist in Sachen Pflanzen, andauernd neue Setzlinge anschleppt, das Dienstaltersgeschenk für 5 Jahre im Job eben erst beim Saatguthändler abgeliefert hat und ohnehin schon eine endlose Pflanzen-Wunschliste hat:

Nie, aber auch wirklich gar nie, sollte man die „Encyclopedia of Gardening“ aus dem Bücherregal holen, um sich eine umfassende Lernkartei mit Pflanzennamen anzulegen, damit man beim Lernen nicht andauernd nachschlagen muss, wie Agrostemma githago auf Deutsch heisst und ob es für Xanthophthalmum segetum auch einen Namen gibt, den man nicht erst im dritten Anlauf fehlerfrei aufs Papier bringt.

Tut man das nämlich, erkennt man nicht nur ziemlich schnell, dass man noch sehr viele Stunden wird lernen müssen, um bei der Prüfung auch nur den Hauch einer Chance zu haben. Man stellt leider auch fest, dass die Pflanzen-Wunschliste noch sehr viel länger, der Platz ums Haus noch sehr viel grösser und das Budget für den Garten unbeschränkt sein müssten.

Die Erkenntnis, wie viel Schönheit da noch zu haben wäre, ist fast so erdrückend wie die Einsicht, wie gross die Wissenslücken noch sind.